P. Craig Russell und „Der Ring des Nibelungen“ als Comic – Wie der Walkürenritt aussehen müsste (2024)

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Von: Judith von Sternburg

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P. Craig Russell und „Der Ring des Nibelungen“ als Comic – Wie der Walkürenritt aussehen müsste (1)

Marvel-Zeichner P. Craig Russell bringt grandios zu Papier, was Wagner nicht zeigen konnte.

Offensichtlich kann ein Comic zeigen, was das Musiktheater nicht zeigen kann – Superhelden und Superheldinnen in Superkörpern, Götter, Göttinnen, Riesen, Drachen, und zwar feuerspeiende, Nixen, und zwar hurtig herumschwimmende. Überirdische Frauen auf fliegenden Pferden. Unterirdische Werkstätten einer kleingewachsenen Ethnie. Eine Schiffsfahrt auf dem Rhein. Einen Tarnhelm, einen sprechenden Vogel, einen lebhaften Bären, einen begehbaren Regenbogen, der eben noch nicht da war, ein Schwert, das im richtigen Augenblick auseinanderbricht, einen Speer, der im richtigen Moment auseinanderbricht. Wogende Fluten überall, aber im nächsten Moment muss alles wieder trocken sein. Feuer von einer Größe, die die Feuerwehr niemals genehmigen könnte. Verwandlungen, vor allem Verwandlungen. Vom Grunde eines Flusses in wenigen Takten hinauf in den Himmel, und von dort durch einen Spalt herab in tiefste Tiefen, dann natürlich auch wieder hoch.

Richard Wagner, kann man sagen, hat es vor bald 150 Jahren im Bayreuther Festspielhaus wenigstens versucht. Man konnte darüber lachen, aber enorm war es auch. Jetzt zieht der US-amerikanische Comiczeichner P. Craig Russell es durch. Man kann darüber lachen, aber enorm ist es erst recht.

Russell, Jahrgang 1951, arbeitet am Marvel-Comic-Universum mit und hat bereits mehrere Opern für seine Bildererzählungen adaptiert. „Der Ring des Nibelungen“ wurde im Original vor bald 20 Jahren fertig, eine Großtat mit langer Planungsphase, in die der Anhang interessante Einblicke gibt. Jetzt ist die deutsche Übersetzung erschienen, in einem verflucht schweren Buch. Erst blättert man rein und lächelt milde, dann liest und schaut man sich fest.

Russell zieht alle Register, seinen Bildern so viel Bewegung – Dynamik und Agogik – zu geben wie möglich. Da sind Riesen tüchtig groß, ist Alberich als „Herr der Nibelungen“ ein den Bildrand sprengendes, jedoch nur halbseitengroßes Monster. Denn nur der gegen die Walküren zürnende Wotan bekommt eine vollständige Seite. Und dann gleich noch einmal fast eine ganze. Wie überhaupt das stürmische Buhei auf dem Walkürenfelsen den Wagnerischen Vorstellungen vermutlich ungemein nahe kommt. Beim ersten Auftreten des Schwertmotivs kommt ein Bildchen auf eine Motivnote – das Ausmaß der Raffinesse ist an solchen Stellen leicht zu übersehen (Russell weist im Nachwort selbst darauf hin), aber nicht die Rhythmisierung an sich, der lebhafte Wechsel der Stimmungen, Tempi, Situationen.

Das blattbreite Bild zum Beispiel, auf dem Loge ruft: „Durch Raub!“ Das kleine, lapidare Bildlein, auf dem der von den Göttern fertig gemachte und dann als restlos Besiegter freigelassene Alberich fragt: „Wirklich frei?“ Russell hat ein herausragendes Verständnis für das gar nicht immer so offensichtliche Gewicht einzelner Sätze – ein Verständnis, das viele Inszenierungen vermissen lassen, und das ist kein Wettern gegen Regieeinfälle. Russell hat auch welche, Fricka zum Beispiel flüstert Hunding im Schlaf das Wort Inzest ein. Fricka, die ihr dunkles Haar trägt wie Cosima Wagner, oder?

Das Buch

P. Craig Russell: Der Ring des Nibelungen. Cross Cult, Ludwigsburg 2023. 448 Seiten, 49,99 Euro.

Sätze werden auch durch Sprechblasenabfolgen rhythmisiert. Wagners Text wurde von Patrick Mason zwangsläufig minimiert, die dadurch entstehende ziemlich spannende Verbindung aus Originalsätzen und eigenem, angelsächsisch bündigem Klartext übersetzt Stephanie Pannen genau so: „Wenn ich keine Liebe bekomme, werde ich es mit Macht versuchen“, erklärt Alberich nach der glücklosen Begegnung mit den Rheintöchtern. „Selbst JETZT lehrst du mich, ihn zu lieben. Deine zwiespältigen Worte werden mich nicht gegen ihn zwingen“, erklärt Brünnhilde ihrem Vater, der wegen Siegmund herumeiert. Aber das „Wer meines Speeres Spitze fürchtet...“ ist O-Ton, dazu eine gigantische Siegfried-Vision – Speer und Schwert kreuzen sich schon einmal über die Bilderrahmen hinweg. Einen Abend später, wenn Nothung den Speer zerhaut, geschieht dies hingegen genau nicht riesig, sondern in einer kleinen Bilderfolge. Zu sehen ist eine Pulverisierung, am Ende ein fast weißes Viereck. Unzweifelhaft pathetisch gestaltet sich (natürlich) Siegfrieds Tod – Seite um Seite hat man davor die Wiederkehr seines Erinnerungsvermögens mitverfolgt. Comiczeit ist nicht gleich Opernzeit, aber die Proportionen stimmen.

Die Figuren zeigen sich durchweg im Superheldenmodus, blaue Augen blitzen, blonde Haaren wallen, die Nibelungen sind geduckte Kerlchen. Als Siegfried unterm Tarnhelm in Gunthers Gestalt Brünnhilde überfällt und vergewaltigt, sind „Gunthers“ braune Augen blau: Russell hat dolle Möglichkeiten, er nutzt sie alle.

Man muss kaum erwähnen, dass die Götterdämmerung selbst ein absoluter Hammer ist.

Ist Russells „Ring“ in sich komplett verständlich ohne Kenntnis der Oper? Jedenfalls ist er bei aller Eigenständigkeit von Wagner nicht sinnvoll zu trennen. Beim Lesen drängt sich die Musik auf. Wer sie noch nicht kennt, wird sie hören wollen.

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